Demjenigen, der Italien liebt, und dies nicht nur wegen des guten Essens und der wunderschönen Landschaft, wird der Name Alessandro Manzoni bekannt sein! Wie ein Geist durchdringt er die italienische Kultur, allenthalben wird er erwähnt oder ausdrücklich zitiert, Renzo und Lucia, die Protagonisten seines berühmten Romans „I Promessi Sposi“ (Die Verlobten) scheinen den Italienern gute Bekannte, gar Vertraute, zu sein. Mir Nicht-Italiener war er bislang jedoch nichts als ein Name, ein beharrliches Gespenst aus einer vergangenen Epoche, ein Schemen, dem ich noch keine eigene Substanz zuordnen konnte. Und auch sein Buch war bisher nur ein Titel unter vielen in einer langen Liste von Büchern, die darauf warten, von mir gelesen zu werden. Um so erfreulicher war es für mich, dass die Wahl des Lesestoffes für den diesjährigen Lesemarathon auf Manzonis berühmten Roman gefallen war.

Es gehört tatsächlich zu den erfreulichen Entwicklungen des Potsdamer Kulturlebens, dass sich die Teilnahme am bundesweiten Lesemarathon inzwischen als eine schöne Tradition etabliert hat. In diesem Jahr fand er am Mittwoch, dem 6.März, wie gewohnt im Veranstaltungsraum der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam statt. Wie auch die vergangenen Male, wurde der Abend vom Freundeskreis Potsdam-Perugia gemeinsam mit der Bibliothek organisiert und wiederum ist es den Veranstaltern gelungen, eine Reihe hervorragender Vorleser für diesen Abend zu gewinnen. Giovanna Forni, Karen Schneeweiß-Voigt, Klaus Büstrin, Matthias Iffert, Carsten Wist, Marcus Löwer und Christian Ballhaus hatten diese Aufgabe übernommen und angesichts der Tatsache, dass allein schon die Auswahl geeigneter Textstellen aus einer Überfülle von 900 Seiten ein gewisses Problem darstellt, war es beeindruckend, mit welcher Treffsicherheit jeweils genau der richtige Vorleser gefunden worden war. Marion Mattekat von der Stadt- und Landesbibliothek und Bernd Malzanini vom Freundeskreis Potsdam-Perugia moderierten den Abend auf professionelle Weise und Karen Sokoll sorgte mit italienischen Liedern aus dem 17. Jahrhundert von Alessandro Scarlatti und Giacomo Carissimi für eine musikalische Umrahmung.

Giovanna Forni und Klaus Büstrin
Giovanna Forni und Klaus Büstrin gehörten zu den Vorlesern

Alessandro Francesco Tommaso Manzoni, 1785 in Mailand geboren, beschäftigte sich schon früh mit Dichtung und Literatur. Er pflegte Kontakte zu Dichtern und Literaten in Italien und Frankreich und seine eigenen frühen Arbeiten wurden auch von Goethe gelesen und geschätzt. Nach intensiven Studien zur Geschichte Oberitaliens, verfasste er sein umfangreichstes Werk, den historischen Roman „Die Verlobten“, in dem die dramatische Geschichte des Liebespaares Renzo und Lucia den Anlass und Vorwand bilden, ein umfassendes historisches Panorama zu entrollen, das die politischen, religiösen und sozialen Zustände einer Zeit beschreibt, in der Oberitalien unter spanischer Fremdherrschaft zu leiden hatte. Die Wahl gerade dieses zeitlichen Rahmens für seinen Roman wurde sicherlich auch im Hinblick auf die politische Situation seiner eigenen Zeit getroffen, in der sich die Lombardei unter der Herrschaft der Habsburger befand und die Idee eines freien Italien gerade erst zu keimen begann. Nachdem die erste Ausgabe der „Verlobten“ sprachlich noch eine stark lombardische Prägung aufwies, revidierte und korrigierte Manzoni in der Folgezeit seinen Roman in Richtung der italienischen (toskanischen) Hochsprache und förderte so, im Bewusstsein der großen Bedeutung der Literatur für eine Nation, die intensiven Bestrebungen um ein geeintes Italien.

Manzoni erzählt die tragische Geschichte von Renzo und Lucia, zwei jungen Brautleuten von bescheidener Herkunft, die nach angemessener Verlobungszeit nun endlich heiraten wollen. Unglücklicherweise hat Don Rodrigo, der sittenlose Feudalherr der Gegend ein Auge auf die reizende Lucia geworfen. Er plant, sie in seine Gewalt zu bekommen, ganz gleich auf welchem Wege und mit welchen Mitteln, und nutzt daher all seine willkürliche Autorität, um zunächst die Hochzeit zu verhindern. Die beiden leidenschaftlich liebenden Brautleute können sich jedoch mit diesem unseligen Schicksal nicht abfinden und begeben sich auf die Flucht. Im Verlaufe der Geschichte werden sie voneinander getrennt und erleben verschiedene unglaubliche, seltsame oder gefährliche Situationen, bevor Manzoni ihnen gnädiger Weise ein „Happyend“ gewährt.

Manzonis erstmals 1827 erschienenes Buch erfüllt alle Voraussetzungen für einen historischen Roman: eine spannende Handlung an wechselnden, detailreich beschriebenen Orten, den retrospektiven Blick eines „allwissenden“ Erzählers, der die handelnden Personen entlang seines roten Fadens durch Wirrnisse und Schicksalsschläge zu führen scheint, lebensvolle Charaktere, die nicht allein um der Story willen, sondern auch aus ihrem eigenen Wesen und ihrer persönlichen Geschichte heraus reden und handeln – ganz und gar überzeugende Typen also, die man lieben oder hassen, fürchten, verachten und bemitleiden kann, die den Leser aber niemals gleichgültig lassen. Die Geschichte spielt in Norditalien im 17.Jahrhundert und vor unseren Augen entwickelt sich das Historiengemälde einer Epoche voller tragischer und dramatischer Begebenheiten, voll menschlichen Leidens und großer Leidenschaften.

Wie bereits angedeutet, spielt Manzonis „Die Verlobten“ in der italienischen Literatur offensichtlich eine besondere Rolle und für viele italienischer Dichter scheint er ein literarischer Bezugspunkt gewesen zu sein, in heimlicher oder offensichtlicher Bezugnahme, oder aber in bewusster Distanzierung. Und darum nimmt es auch keineswegs wunder, dass uns Umberto Ecos berühmter Prolog zu seinem Roman „Der Name der Rose“, in welchem es um ein geheimnisvolles Manuskript geht, dass der Autor zum Ausgangspunkt seines Buches nimmt, nun so sehr an Manzonis „vergilbte und verschmierte Handschrift“ erinnert, der er die erstaunliche Geschichte Renzos und Lucias entnommen zu haben behauptet.

Text: Axel Gremmes

Lesemarathon 2019: Alessandro Manzoni „Die Verlobten“
Markiert in: